A HOUSE TO LIVE
A PLACE TO LEARN

Wir sind in der Stadt Oświęcim, um uns an Auschwitz zu erinnern. Um zu überzeugen, dass wir aus der Vergangenheit lernen müssen. Wir zeigen, dass Oświęcim ein Ort der Begegnung, der Versöhnung und der Verständigung sein kann. Wir sind in der Stadt Oświęcim, damit Auschwitz sich nicht wiederholt.

Ein nicht-alltäglicher Gast

Anna Szałaśna

Die Atmosphäre des Hauses wurde von ehemaligen Auschwitz-Häftlingen mitgestaltet. Die Begegnungen mit ihnen setzten sich in die Herzen und Köpfe vieler junger Menschen fest, die die Gelegenheit hatten, ihr Zeugnis zu hören. Wir sind froh, wenn sie bei uns sein können. Vom 12. bis 15. Oktober haben wir Anna Szałaśna aus Warschau in der IJBS zu Gast gehabt. Eine Person von großer Tapferkeit und außergewöhnlicher Persönlichkeit. An den Treffen mit ihr nahmen Jugendliche aus verschiedenen Teilen Deutschlands sowie aus einer Schule in Oświęcim teil.

Anna Szałaśna wurde am 31. Oktober 1926 in Chryplin in der Woiwodschaft Stanisławów (heute Ukraine) geboren. Sie besuchte die Grundschule in Lemberg, wo sie auch Klavierunterricht erhielt. Im Jahr 1939 zog die Familie Szałaśny nach Toruń, wo Anna das Gymnasium besuchte. Ihre Schulbildung wurde durch den Ausbruch des Krieges unterbrochen. Ihrem Vater wurde befohlen, nach Warschau zu ziehen. Auf der Fahrt in die Hauptstadt wurde der Zug beschossen. Anna wurde verwundet, eine Kugel durchschlug ihr Bein in der Nähe des Knöchels. Trotz medizinischer Versorgung konnte das Bein nicht gerettet werden. Im Jahr 1943 schreibt Anna einen Brief an ihren Bruder, der zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurde. In einem Versuch, ihn zu trösten, beendet sie es mit den Worten „Der Moment der Befreiung ist nahe“. Der Brief, den ihr Bruder nie erhalten hat, war der Grund für ihre Verhaftung durch die Gestapo. Sie wurde in das Gefängnis in Tarnów gebracht, von wo aus sie nach einem brutalen Verhör im Juni 1943 in das Lager Auschwitz-Birkenau (Lagernummer 47628) geschickt wurde. Im Lager arbeitete sie im Grabengrabungskommando und in der Nähstube. Sie überlebte dank der Hilfe von zwei Schwestern aus Lodz, die sie im Lager kennenlernte. Im August 1944 meldete sie sich freiwillig für das Lager Ravensbrück, wo sie eine Arbeit in der Siemens-Fabrik erhielt. Die Unterbringungs- und Verpflegungsbedingungen waren besser als in Auschwitz. „Es gab keine Etagenbetten, nur Pritschen mit Bettzeug, in der Mitte einen Tisch und einen Schrank für Schüsseln. In Auschwitz musste man alles mit sich tragen. Von einem Stuhl und einem Tisch konnte man nur träumen. Es gab Wasser aus dem Wasserhahn, kalt, aber immer.“ - erinnerte sie sich. Im April 1945 wurde sie ausgewählt, Ravensbrück im Rahmen einer vom Roten Kreuz über Graf Bernadotte organisierten Aktion in Richtung Schweden zu verlassen. Anna Szłaśna erinnert sich mit Rührung an die Reise nach Schweden:  „Wir sind an Deck gegangen, es war herrlicher Sonnenschein. Wir standen schweigend da, wir konnten es nicht glauben. Als wir näher an das Ufer kamen, sahen wir ein kleines Boot und Männer mit Instrumenten in der Hand. Sie begannen zu spielen, sie spielten die polnische Hymne! Das Orchester der schwedischen Marine spielte.“ Dort erlebte sie das Ende des Krieges.

Im Sommer 1946 kehrte Anna Szałaśna nach Polen zurück und ließ sich in Szczecin nieder. Im Jahr 1948 machte sie ihr Abitur an einem Gymnasium für Erwachsene und zog nach Poznan, wo sie Musikwissenschaft studierte. Sie beteiligte sich an der Aktion zur Sammlung von Musikalischer Folklore und zog 1959 endgültig nach Warschau. Sie nahm eine Stelle am Kunstinstitut der Polnischen Akademie der Wissenschaften an, wo sie das phonographische Archiv leitete. Sie interessiert sich für Musikethnologie, insbesondere für die Folklore der Bieszczady. 

Frau Anna Szałaśna bewegt sich im Rollstuhl, ist zierlich und hat Probleme mit der Wirbelsäule. Sie hat in jungen Jahren ihr Bein verloren und spricht ruhig und sachlich über ihre Erlebnisse; sie klagt nicht über das Schicksal. Bei einem Treffen wird ihr eine Frage über ihre Beziehung zu den Deutschen gestellt. „In Lemberg habe ich als Kind Ukrainer, Deutsche, Juden und Polen kennengelernt. Mein Vater hat uns immer gesagt, dass es darauf ankommt, was für ein Mensch man ist, nicht welche Nationalität man hat, und daran habe ich mich immer gehalten. Meine Erfahrungen haben daran nichts geändert.”

 

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