A HOUSE TO LIVE
A PLACE TO LEARN

Wir sind in der Stadt Oświęcim, um uns an Auschwitz zu erinnern. Um zu überzeugen, dass wir aus der Vergangenheit lernen müssen. Wir zeigen, dass Oświęcim ein Ort der Begegnung, der Versöhnung und der Verständigung sein kann. Wir sind in der Stadt Oświęcim, damit Auschwitz sich nicht wiederholt.

Zofia Posmysz 1923-2022

Wir sind zutiefst betrübt, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Zofia Posmysz heute Morgen (8.08.2022) verstorben ist.

Ehemaliger Häftling der Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück und Neustadt-Glewe, Schriftstellerin, Radiomoderatorin, Träger des Ordens des Weißen Adlers, Ehrenbürgerin der Stadt Oświęcim, Schirmherrin der Sonderschule und Bildungszentrums in Oświęcim. Für uns - eine wahre Freundin des Hauses und eine Autorität.

Sie war viele Jahre lang eng mit der IJBS verbunden, und wir erinnern uns noch heute an ihre Begegnungen mit jungen Menschen, die unser Haus besuchten, einschließlich der herzlichen Beziehungen, die sie mit jungen Deutschen verbanden, die im Rahmen der VW-Seminare Programme durchführten, aber auch an ihre zahlreichen Begegnungen mit der Öffentlichkeit in Oświęcim (und nicht nur dort), sowohl hier in unserem Haus als auch in den letzten beiden Jahren im virtuellen Raum. Dank des Zeugnisses von Zofia Posmysz, ihres literarischen Vermächtnisses sowie ihrer außergewöhnlichen Schenkungen an die IJBS - die Kurzgeschichte "Christus von Auschwitz" und das unserem Dokumentationszentrum geschenkte Privatarchiv - wurde in Zusammenarbeit zwischen der IJBS und der Konrad-Adenauer-Stiftung eine Projektreihe mit dem Titel "Die Geschichte von Oświęcim" ins Leben gerufen. "Argument-Biographie", u.a. die polnische, deutsche und englische Ausgabe von "Christus von Auschwitz", historische und literarische Workshops, der Film "Schade, dass uns eine solche Entfernung trennt ..." und die Ausstellung "Und so wurdest du mein einziger Freund...", die bis September in unserem Haus zu sehen ist.

Vor allem aber hat ihr Tod in den Herzen, von uns MitarbeiterInnen, eine große Lücke hinterlassen.

Frau Zofia - ruhe in Frieden.

 

Die Trauerfeierlichkeiten für Frau Zofia Posmysz beginnen mit der Heiligen Messe in der Salesianerkirche in Oświęcim (10 Władysława Jagiełły , 32-600 Oświęcim) am 18.08.2022 um 12.00 Uhr. Abschied nehmen wir von ihr um 13.30 Uhr auf dem städtischen Friedhof in Oświęcim (Wiklinowa 5, 32-600 Oświęcim).

 

Zofia Posmysz wurde am 23. August 1923 in Krakau geboren. Bei Kriegsausbruch war sie Schülerin einer Handelsschule. Die neuen Umstände zwangen sie, ihre Ausbildung zu unterbrechen. Kurze Zeit später begann sie illegal organisierten Unterricht zu besuchen. Dabei kam sie mit der Untergrundpresse in Berührung, die von  Klassenkameraden vertrieben wurde. Die ganze Gruppe wurde vermutlich aufgrund einer Denunziation am 15. April 1942 verhaftet.

Zofia Posmysz wurde am 30. Mai 1942 in den für Frauen bestimmten Teil des Hauptlagers Auschwitz überstellt, wo sie allerdings nicht lange blieb. Nach der Flucht einer der weiblichen Häftlinge, die am Ufer des Flusses Sola arbeiteten, wurde Zofia Posmysz’ 200-köpfiges Kommando in die Strafkompanie verlegt, die in dem Dorf Buda in der Nähe von Auschwitz stationiert war.  Die ausgehungerten und misshandelten Frauen wurden unter unmenschlichen Bedingungen zu schwerer körperlicher Arbeit getrieben und kämpften verzweifelt ums nackte Überleben. Nach zwei Monaten lebten nur noch 143 von ihnen, und diese Gruppe wurde nach Birkenau gebracht, wo man ein Nebenlager für Frauen eingerichtet hatte.

Birkenau ist eine neue Station der Lagerhölle. Diese begann für sie dramatisch – mit dem Fleckfieber, der die Häftlinge dahinraffte, und blutigem Durchfall– aber kurz darauf tritt unerwartet eine Wende zum Besseren ein: Im März 1943 kommt sie in die Lagerküche und zwei Monate später wird sie zur „Schreiberin“ befördert.

Im Januar 1945, als die Front näher rückte, wurden tausende Häftlinge des KZ Auschwitz-Birkenau ins deutsche Hinterland getrieben. Die genaue Opferzahl jenes „Todesmarsches“ ist bis heute nicht bekannt. Die weiblichen Häftlinge aus Birkenau marschierten fast drei Tage und Nächte und wurden schließlich in offenen Waggons, bei klirrendem Frost, nach Ravensbrück transportiert. Die Befreiung durch die Alliierten erlebte Zofia Posmysz im Außenlager Neustadt-Glewe am 2. Mai 1945.

1946 bestand sie das Abitur, danach studierte sie Polonistik an der Universität Warschau und arbeitete gleichzeitig nachts als Korrektorin für eine Tageszeitung. Gegen Ende des Studiums begann sie für die Literaturredaktion des Polnischen Radios zu arbeiten.

1959 schrieb sie das Hörspiel „Die Passagierin von Kabine 45“, das die Weichen für ihre literarische Zukunft stellen sollte. Aufgrund der großen Resonanz wurde es kurz darauf für das Fernsehtheater adaptiert, und der Regisseur Andrzej Munk beschloss, „Die Passagierin“ zu verfilmen. Der Film – u. a. mit einer phänomenalen Aleksandra Śląska als Lisa – kam erst nach Munks Tod 1963 in die Kinos. Ein Jahr zuvor war „Die Passagierin“ als Roman erschienen, und 1968 komponierte Mieczysław Weinberg auf der Grundlage des Romans eine Oper (das Libretto schrieb Alexander Medwedew). Die Welturaufführung der Oper während der Bregenzer Festspiele 2010 war ein künstlerisches Großereignis und bestätigte einmal mehr, dass „Die Passagierin“ zu den wichtigsten Werken zum Thema „Lager“ gezählt werden muss. Das Besondere dieses Werkes ist, dass es zwei für gewöhnlich getrennte Sichtweisen des Kriegsdramas nebeneinanderstellt – nämlich die Sicht des Henkers und die des Opfers.

Etwas im Schatten der „Passagierin“ stehen die anderen ebenso wichtigen Werke von Zofia Posmysz, wie z. B. die Romane „Ein Urlaub an der Adria“, „Mikroklima“ oder „Der Preis“, die bereits erwähnten Erzählungen sowie zahlreiche Hörspiele, Drehbücher und Texte zu Gegenwartsthemen. Die 2008 veröffentlichte Erzählung „Christus von Auschwitz“, die eine Episode aus dem Roman „Die Passagierin“ weiter ausführt, gehört sicherlich zu einem der wichtigsten Elemente des Zeugnisses, das diese herausragende Schriftstellerin und außergewöhnliche Frau ihr ganzes Leben lang abgelegt hat.

 

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